Mittwoch, 17. Juni 2009

It`s a long, long way...

Stehe um 5.00 Uhr auf. Das gleiche Spiel wie gestern: Kaffee kochen, Wetterbericht einholen. Der Bericht ist unverändert positiv. Für die Tour liegt schon alles bereit. Schwimmweste, Lifeline, Dolch, Rettungsmittel, Wasser und – ganz wichtig – „Pipi-Eimer“.

Leinen los und ablegen.

Es ist noch recht böig, aber der Strelasund liegt so geschützt, dass hier kein Seegang ist. Setze gleich das Großsegel und mache so unter Maschine 4,5 Knoten Fahrt. Das ist okay.

Nach knapp zwei Stunden erreiche ich die Südspitze von Hiddensee. Nun sollte der Wind laut Bericht allmählich abflauen. Tut er aber nicht. (Hat ihm wohl keiner gesagt.) Ich fahre etwa 3 SM mit nördlichem Kurs an Hiddensee entlang. Dann drehe ich ab Richtung Westen.

Der Wind kommt genau von vorne. Stunde um Stunde kreuze ich mit Großsegel unter Motor Wind und Wellen ab und komme dabei nur mühsam voran. Der Wind weht immer böiger. Ist nix mit abflauen.

Wieder und wieder errechne ich mir, wann ich wohl in Rostock ankommen werde. Und Stunde um Stunde muss ich das Ganze nach hinten korrigieren.

Nur einmal denke ich daran, umzudrehen. Aber was nützt es mir. Die Wetterlage bleibt vorerst so, und 60 SM bleiben 60 SM. Also: Augen zu und durch!

Ich fürchte, dass ich den Rest meines jetzigen Lebens auf den ewigen Wellen der Ostsee verbringen muss! Nach 10 Stunden „Wellen-Gekreuze“ schwöre ich mir, mir in meinem nächsten Leben ein anderes Hobby auszusuchen – z. B, Schach spielen oder Gobelinstickerei...

Endlich erreiche ich die Ecke „Darßer Ort“. Hier gibt es einen Nothafen. Zu gerne würde ich ihn anlaufen, doch leider ist er gesperrt. Die Ausschreibungen für die Baggerarbeiten laufen angeblich – für mich zu spät. Ich bräuchte ihn jetzt!

Es ist inzwischen 17.30 Uhr. Bis zur Einfahrt in die Warnow sind es noch 24 SM; dann noch mal weitere 6 SM bis zum Stadthafen Rostock. Das wird spät.

Jetzt endlich flaut der Wind ab und die See beruhigt sich. Ich fahre mit Motor mit 4 Knoten die Küste entlang. Der Abendtörn ist sehr friedlich und entspannt. Endlich kann ich das Steuer auch mal loslassen und an Deck gehen.

Solange es noch hell ist, bereite ich Taue und Fender für das Anlegen vor und klare an Deck ein wenig auf. Dann gibt es noch mal einen starken Kaffee, denn einige Fahrtstunden liegen noch vor mir.

Die Ansteuerung ist denkbar einfach. Das Fahrwasser ist gut betonnt und befeuert. Da ich von Osten komme, kürze ich ab und halte einfach auf den Leuchtturm zu. Erreiche die Einfahrt um 23.30 Uhr.

Inzwischen ist es ganz dunkel. Der Stadthafen Ost – in dem ich schon auf meiner Hinreise gelegen habe, liegt ganz am Ende der Unterwarnow.

Die Fahrt dorthin ist die Hölle. Milliarden Lichter blinken. Es ist sehr anstrengend, das jeweils nächste Tonnenpaar unter all den blinkenden Lichtern zu identifizieren. Zudem herrscht hier auch um diese Zeit reger Berufsschiffsverkehr. Immer wieder ertönt von hinten eine laute Hupe. Jedes Mal zucke ich zusammen und erschrecke fürchterlich, wenn hinter mir wieder ein riesengroßer Bug aus der Dunkelheit auftaucht.

Das Fahrwasser ist hier sehr eng. Um der Berufsschifffahrt auszuweichen, muss ich es verlassen. Dabei kann ich nie ganz sicher sein, ob ich nicht in nächster Sekunde eine unbeleuchtete Tonne ramme.

Die warnowsche SeeantilopeAb 1.30 Uhr fange ich an zu halluzinieren. Antilopen springen vor meinem Bug herum. Die Biester versperren mir die Sicht auf die Tonnen. Ich habe inzwischen den Museeumshafen erreicht und sehe gar keine roten und grünen Lichter mehr. Plötzlich ist eine rote Tonne direkt neben mir. Ich hatte sie nicht gesehen. Sie ist unbeleuchtet, wie auch alle weiteren Tonnen bis zum Stadthafen.

Den Rest der Strecke taste ich mich ganz langsam im Schneckentempo voran. Mit dem Strahler kann ich jeweils die nächsten Tonnen ausfindig machen, und endlich, endlich um 2.00 Uhr bin ich angekommen.

Das Anlegen dauert zu dieser späten Stunde auch etwa länger. Ich bin nun einfach schon sehr müde und kann kaum noch gucken. Außerdem muss ich ja erst noch die Antilopen vertreiben...

Für die 60 Seemeilen habe ich geschlagene 20 Stunden gebraucht. Zu Fuß wäre ich in etwa genauso schnell in Rostock gewesen.

5 Kommentare:

  1. Hallo Heidrun,
    hoffentlich konntest du dich schon etwas von der langen Tour erholen. Deine Berichte sind immer sehr amüsant, sogar meine Kolleginnen(keine Bootfahrer) sind begeistert.
    Liebe Grüße von Jannette

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  2. Hallo Heidrun,

    sich 20 Stunden am Stück konzentrieren ist echt anstrengend. Glücklicherweise hast Du keine Antilope überfahren....

    Groeten uit Den Helder

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  3. Ich hätte lieber diese "Antilopenfahrt" mit dir gemacht als in meinem langweiligen Büro zu sitzen. Du hast mir doch immer eine Nachtfaht angedroht. Hast du Erwin jetzt getopt ?

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  4. Tolle Leistung ! 20 Stunden. Einen Vorschlag hab ich noch. Im nächsten Leben Briefmarken sammeln. Ist nicht so anstrengend.

    Gruß Heino

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  5. Herzlichen Glückwunsch dazu,
    auch eine solche Fahrt mit langer Distanz, denkbar ungünstige Gegebenheiten wie Welle, Windrichtung und -stärke, relativ unbekanntes, stark befahrenes Revier und Dunkelheit... als Einhandseglerin unbeschadet überstanden zu haben!!!!! Alle Achtung!
    ((( war der Krtplotter auf der Warnow nicht zuverlässig?))))
    Es wäre jedenfalls eine unglaubliche Verschwendung, jetzt das Hobby zu wechseln. Weil ab jetzt wird jeder weitere Törn ganz einfach...
    ...;-)) weiter so!... ;-))

    lieben Gruß,

    Burkhard

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